Wenn zwei das Gleiche sagen, meint es noch lange nicht dasselbe. Um es vorweg zu nehmen: Relativieren ist holländischer kommunikativer Nationalsport. Das hat zwei Gründe.
Committed man sich zu einem klaren ja oder nein (ohne relativierenden Zusatz), macht man sich automatisch einzigartiger, als der niederländische Gemeinschaftssinn es für gut befindet. Gefühlt pachtet mit einer solch klaren Aussage jemand ja geradezu die Wahrheit für sich! Ein klares JA ist zu großspurig, ein klares NEIN lässt kein Hintertürchen offen. Auf gut niederländisch “mag je gewoon het hoofd niet boven het maaiveld uitsteken“. Gut zu beobachten in der niederländischen Medienlandschaft, wo gefühlt mehr als die Hälfte aller Journalistenfragen mit einem „aber“ nach dem ja oder nein beantwortet werden… Deutsche denken augenrollend eher: „Komm zum Punkt“. Während in Deutschland geführte Interviews im Niederländischen oft als schroff empfunden werden.
Widerspruch vs. Ergänzung
Außerdem schließt sich – gefühlt – nach einem klaren ja oder nein die Tür für Alternativen: „Wenn ich jetzt unwiderruflich ja oder nein sage, komm ich doch nie wieder aus dieser Einbahnstraße raus“… Es könnte sich ja im Lauf des Projektes noch etwas ändern. Mit derlei Gedanken fühlen sich Niederländer ausgesprochen unkomfortabel in Kommunikations- und Verhandlungssituationen.
Im deutsch-kommunikativen Umfeld bedeutet „ja, aber“ zunächst das Anmelden von Widerspruch. Und im zweiten Schritt eigentlich nein. Das „ja“ war nur eine freundliche kommunikative Einleitung und ist fürs Ergebnis Makulatur.
Die gleiche Sache bedeutet im niederländisch-kommunikativen Umfeld: „Ich denke mit“, „ich habe noch etwas zu ergänzen“ und ist eher ein „Verhandlungsangebot“ mit dem Wunsch, sich gemeinsam auf eine Lösung zu zubewegen. Je nach dem, aus welcher Perspektive man die Situation betrachtet, ergeben sich entsprechende Handlungsoptionen: kommunikativ Deutlichkeit kreieren, Grenzen stärker sichtbar machen.
Eigensicht vs. Fremdsicht
Aus niederländischer Perspektive wird jeder Vertrag jederzeit als noch verhandelbar angesehen – auch, wenn die Tinte darunter längst getrocknet ist. Man muss es doch probieren, es könnte ja auch noch eine bessere Option geben…
Um deutlich zu sein: Das ist natürlich die deutsche Sicht auf die vertraglichen Dinge. Niederländer untereinander finden sich super stark im „Afspraak is afspraak“-Modus. Nur im Vergleich zum Deutschen „in Stein gemeißelt“ ist das alles noch sehr vage.
Irritationen sind dadurch vorprogrammiert: Niederländer fühlen sich schnell in ihren Spielräumen eingeengt, Deutsche sich nicht ernst genommen
Was am Ende für den gemeinsamen Erfolg zählt:
Das richtige Maß von Abgrenzung und Durchlässigkeit hilft, nach beiden Seiten hin offene Kommunikationsstrukturen zu schaffen. Für Deutsche: Grenzen aufzeigen, um sich nach innen konzentrieren zu können und alles andere bewusst „außen vor“ lassen zu können. Um bei Niederländern zu punkten: Grenzen so durchlässig wie möglich zu gestalten, um möglichst viele externe Einflüsse einbeziehen zu können und Perspektiven offen zu halten.
Die Autorin
Die Autorin genießt die alltäglichen Dinge in beiden Sprachen. Das leicht liebevoll verquatschte Niederländisch, und das glatt sortierte, rhythmische Deutsch.
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